Kreisausländerbeirat Gießen

Rückblick 2009 und Vorausschau

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Rückblick auf das Jahr 2009 und Vorausschau auf das Wahljahr 2010 

Ansprache der Vorsitzenden, Françoise Hönle, zum Neujahrsempfang 2010 und zum 15jährigen Jubiläum des Kreisausländerbeirates  

 

Nachdem wir anlässlich des 15jährigen Jubiläums des Ausländerbeirats des Landkreises Gießen auf die Gründungszeit und die Anfänge der Arbeit im KAB zurückgeblickt haben, möchte ich jetzt über das gerade abgelaufene Jahr 2009 berichten.Wie in den Jahren zuvor haben wir auf vielfältige Art und Weise an ebenfalls vielfältigen Themen gearbeitet, die alle eins gemeinsam haben: sie betreffen das Leben von Migranten und Migrantinnen und beeinflussen es. 

 

Als Beratungsorgan können wir keine Entscheidungen treffen, wir können nur unsere Erkenntnisse, Erfahrungen und Positionen an Entscheidungsträger weiterleiten oder an die breite Öffentlichkeit.Wir tun dies auf unseren Plenarsitzungen, in verschiedenen Arbeitsgruppen oder auch in Form von Veranstaltungen. 

 

Im Jahr 2009 haben wir etwas angefangen, was sich auch 2010 fortsetzen lässt: Wir haben Kleinprojekte von Migranten für Migranten oder von Deutschen für Migranten und Migrantinnen vorgestellt. Jede Initiative, jedes Projekt dieser Art ist ein Beitrag zur Integration und zur Lebensqualität der Menschen in unserem Landkreis. Vorgestellt wurden die Aktivitäten des Mesopotamischen Kulturvereins. Auch die Alevitische Gemeinde Gießen stellte seine Aktivitäten vor. Diese Vereine haben ihren Sitz in Gießen, die Mitglieder kommen aber auch von den Kreisgemeinden. Vorgestellt wurde die Betreuung von Migrantinnen in Buseck, wobei auf die Situation und Schwierigkeiten einzelner Personen eingegangen wird.Die Aufgabenhilfe des Forums für Völkerverständigung Lich, die von Caritas unterstützt ins 10. Jahr geht, war auch Gegenstand einer Präsentation. Ich möchte hier an 2 Projekte erinnern, die besonders im Gedächtnis geblieben sind: den von Abdelrahim en Nosse initiierten und von jungen Migranten gepflegten Obstgarten in Rödgen und die internationalen Stadtgärten hier in der Nähe, die von Frau Vipi Nurmi gegründet wurden. Auch niederschwellige Deutsch- und Alphabetisierungskurse wurden vorgestellt. Einige dieser Projekte waren eine Pionierleistung, sie tragen aber Früchte, es gibt Nachahmer und Multiplikatoren. 

 

Ein anderer Schwerpunkt unserer Arbeit war das Leben von Menschen ohne Papiere. Der Film „Verlorene Jahre“, der vom ZDF ausgestrahlt wurde, berichtet über eine junge Frau aus unserem Landkreis, die 4 Jahre ohne Papier lebte. Dank Joachim Schäfer, aus Wetzlar, konnte die Familie vorerst mit Duldung aus dem Dunkeln der Illegalität heraus. Hier einen Dank an Joachim Schäfer und an die Regisseurin, Frau Dorothea Kaden. Der Film hatte bei der Vorführung in der ehemaligen Synagoge in Lich eine große Resonanz. 

 

Im Jahr 2007 einigte sich die Innenministerkonferenz auf die Bleiberechtsregelung, eine Härtefallregelung für Menschen mit Duldung. Mit diesem Thema beschäftigten wir uns auch. Dies geschah in Zusammenarbeit mit der Gruppe „Bleib in Mittelhessen“. In diesem Zusammenhang sei auf die „Save me“ Initiative, die sich für die Aufnahme von Flüchtlingen stark macht und die Arbeit der Flüchtlingsseelsorge um Pfarrer Wilhelmy hingewiesen. 

 

Schulsozialarbeit war Thema einer anderen Sitzung. Wir waren etwas zu früh dabei, eine Bilanz der Arbeit der Schulsozialarbeiter und -arbeiterinnen war noch nicht möglich. Wir machten uns mit der „aufsuchenden Sozialarbeit“ am Beispiel Lich vertraut. 

 

Das Jahr 2009 war Wahljahr. Auch wenn viele von uns bei Bundestagswahlen nicht wahlberechtigt sind, werden wir alle von den Ergebnissen betroffen. Wir freuten uns, alle Spitzenkandidaten im Landkreis befragen zu können. Wir glauben, dass wir auch informieren konnten, denn manche Aspekte des Ausländerrechts sind nicht allen bekannt: Vorrangprüfung auf dem Arbeitsmarkt, Residenzpflicht und die ungeklärte Bedeutung der Frage nach beabsichtigter politischer Betätigung bei den Anträgen auf Aufenthaltserlaubnis und Einbürgerung seien hier genannt. 

 

Außerhalb der Plenarsitzungen waren Mitglieder des KABs in verschiedenen Ausschüssen des Kreistags sowie an den Kreistagssitzungen beteiligt, wo wir Rederecht besitzen. Durch Ausländerbeauftragte verschiedener Parteien stehen wir im Kontakt mit den Fraktionen, was sich als sehr positiv erwiesen hat. Wir nahmen auch teil am Arbeitskreis Migrationsdienste und an den Sitzungen des Netzwerkes des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, das von Herrn Dr. Weyrauch initiiert wurde. Dort konnten wir unsere Kritik an den Integrationskursen vorbringen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Wir sind zuversichtlich, dass diese konstruktive Kritik positive Folgen haben wird. 

 

An den Plenarsitzungen der agah (Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen und Landesausländerbeirat) beteiligten wir uns und versuchen auch dort Anträge einzureichen. Im Jahr 2009 ging es um Bleiberecht, um die Berlin-Studie, um Integrationskurse. 

 

Der Kreisausländerbeirat war an der Aufführung des Theaterstückes „Die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch„ beteiligt. Die Resonanz war sehr groß, anschließend konnte die Situation in Afghanistan an Ständen besprochen werden. Im Mittelpunkt stand Frau Omar-Olomi mit ihrem Schulprojekt „Bildung statt Krieg!“ in der Provinz Kabul. 

 

Zum Schluss möchte ich auch erwähnen, dass wir uns mit der Zukunft der Ausländerbeiräte beschäftigt haben, ich werde noch auf dieses Thema, das uns weiterbeschäftigen wird, zurückkommen. 

 

Neujahrsempfang bedeutet aber nicht nur Rückblick sondern auch Vorausschau, Blick in die Zukunft.

 

Das Jahr 2010 ist für uns Wahljahr. Am 7. November 2010 werden die hessischen Ausländerbeiräte neugewählt. Wir stehen vor einer großen Aufgabe. Unsere Wähler sind über 18 000 Personen aus sehr vielen Ländern, die in den 18 Städten und Gemeinden des Landkreises leben.Ich appelliere heute schon an alle, die heute hier sind, in ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis, in ihren Vereinen, Menschen dazu zu motivieren am 7. November zur Wahl zu gehen. Wähler brauchen wir, aber auch Menschen, die bereit sind sich für die Belange von Nicht-Deutschen zu engagieren. Wir wollen auch gleich heute mit Personen ins Gespräch kommen, die interessiert wären, bei diesen Wahlen zu kandidieren.Später wird es zu einem Treffen von künftigen Kandidaten und Kandidatinnen kommen. Bitte tragen Sie sich in die Liste ein, wenn Sie über die Arbeit der Ausländerbeiräte informiert werden möchten. Auf unserer Sitzung am 9. März in Pohlheim werden wir uns mit den Wahlen für die Ausländerbeiräte und der Bedeutung und Zukunft dieser Interessenvertretung befassen. Im Laufe der Diskussion über die Zukunft der Ausländerbeiräte, die seit 2008 in ganz Hessen in den Ausländerbeiräten geführt wurde, haben wir unseren Willen bekräftigt, die Interessenvertretung von Nicht-Deutschen zu bleiben. So hat es auch die Mehrheit der Hessischen Ausländerbeiräte gesehen. So werden wir auch 2010 versuchen, das Sprachrohr derjenigen zu sein, die lange keine Stimme hatten und im politischen Vokabular nicht vorhanden waren. 

 

Ein Schwerpunkt unserer Arbeit wird 2010 die Schulpolitik sein. Wie schon vor 15 Jahren wird uns die Sonderschule, die heute Förderschule heißt, beschäftigen. Deutschland hat die Charta der Kinderrechte unterschrieben, niemand kann einen Umweg um dieses Problem machen und sagen, alles sei in bester Ordnung. Ganz im Sinne einer UNO-Resolution und der Ergebnisse des Herrn Munoz, der Deutschland im Auftrag der UNO bereiste, sollen möglichst viele Schüler und Schülerinnen in die Regelschule integriert werden. Einige von uns engagieren sich seit Jahren auf diesem Gebiet. Viele Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund werden am Anfang ihrer Schullaufbahn auf Grund von mangelnden Sprachkenntnissen und auch Ängsten vor der noch fremden Umwelt ausgegrenzt und in Förderschulen geschickt. Fast alle, die wir vor diesem Schicksal bewahren konnten, erwiesen sich als Schüler und Schülerinnen, die genauso viel wie andere, wenn nicht mehr, leisten können. 

 

Wir werden uns mit der frühen Auslese in Klasse 4 beschäftigen. Dieses System wird von den regierenden Parteien in Berlin, in Hessen und in allen anderen CDU-FDP-regierten Ländern verteidigt. Es verhindert weitgehend den Aufstieg von Schülern und Schülerinnen aus sozial schwachen Familien. Wenige Politiker geben zu, dass das auch gewollt ist. Einer hat es getan. Herr Spaenle, der bayerische Kultusminister und neuer Präsident der KMK (Kultusministerkonferenz) hat gesagt: „Die Hauptschule „macht ein niederschwelliges Angebot“, „gerade für Jugendliche mit Migrationshintergrund“ Da sagen wir nein. Wir streiten um eine Schule für alle, für eine lange gemeinsame Schulzeit, für gleiche Chancen für alle. 

 

Im Jahr 2010 werden wir auch die Bilanz des Bleiberechts ziehen müssen. Dazu werden wir erneut die Ausländerbehörde des Landkreises einladen.Die Hürden waren hoch, die Kriterien  nicht immer sehr klar, wir wollen erfahren, wie nun die Situation sei. 

 

Zum Schluss möchte ich sagen, dass gerade Zeiten von Wirtschaftskrisen Zeiten sind, in denen manche Sündenböcke suchen. Wir werden wachsam sein und die Augen nicht verschließen, auch wenn man uns entgegnet, es gäbe doch keine Probleme. Wir werden den Menschen, die Opfer von Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit sind, zur Seite stehen. 

 

Auch im Jahr 2010 werden wir, im Rahmen unserer MöglichkeitenMenschen unterstützen, die unsere Hilfe brauchen. Dabei geht es um schulische Probleme, um Aufenthaltsprobleme und besondere Notsituationen. 

 

Wir wollen im Jahr 2010 im Dialog mit den politischen Gremien des Landkreises bleiben, wir wollen im Kontakt mit möglichst vielen Migranten und Migrantinnen stehen. Wir wollen die Zusammenarbeit mit Vereinen verstärken. 

 

Am 7. November 2010 wird gewählt! Bitte nicht vergessen!Wir brauchen Kandidaten und Kandidatinnen, die bereit sind, sich zu engagieren, wir brauchen eine höhere Wahlbeteiligung. 

 

Gießen, den 29. Januar 2010